Bericht über das traditionelle Spatzen-Reisli erschienen in der Zürichsee-Zeitung vom 11.7.2013
und im MeilenerAnzeiger vom 12.7.2013
Als die Spatzen zu Dreckspatzen wurden
Die singenden „Spatzen“ von Meilen flogen letztes Wochenende aus an ihr vierzigstes „Spatzen-Reisli“. Wie immer führte die von zwei Sängern organisierte Reise an einen geheimen Ort, der trotz Bohrens und Fangfragens nicht preisgegeben wurde. Umso grösser war die Spannung, als 18 Personen sich am Samstagmorgen um 8.15 Uhr am Bahnhof Meilen trafen. In welche Richtung sollte es wohl gehen mit der S7?
Im Hauptbahnhof wurde ein erstes Geheimnis gelüftet: die erste Etappe lautet Solothurn! So stand es nämlich am reservierten Zug angeschrieben. Bei frischen Bretzeln und einem guten Schluck ging die Zeit sehr schnell vorbei, und schon bald sammelte sich die Truppe vor dem Bahnhof Solothurn. Dort wartete schon eine sehr spezielle Stadtführerin, Frau Egger, auf uns. Speziell deshalb ,weil sie Führungen macht, die den Besuchern die anrüchigeren Geheimnisse der Solothurner Vergangenheit zeigen. Unter anderem,wie Casanova versuchte, die verheiratete Frau von Roll zu umgarnen, oder warum es „Püppi-Steine“ gab an gewissen Toren. Oder warum es heisst „am Seil abelaa“ oder „einen Korb geben“. Mit viel Gelächter zogen die „Spatzen“ durch die mehrere und mindere Stadt und genossen die Geschichten von Chorherren, Konkubinen und Dirnen aus den letzten Jahrhunderten.
Die nächste Etappe führte auf dem Aare-Schiff von Solothurn nach Biel, welche man in gut dreistündiger Flussfahrt in gemächlicher Ruhe erreicht. Das Mittagessen und einige Lieder verschönten diesen Reiseabschnitt noch zusätzlich. Sehnsüchtig schauten einige SängerInnen hinüber zur Badi in Biel, aber für uns ging die Reise bei schönster Sonne und grosser Hitze weiter – keine Zeit zum Baden!
Jetzt waren alle natürlich sehr gespannt,w ohin es weitergeht. Von Frankreich war die Rede, man hatte ja schliesslich einen Ausweis mitnehmen müssen! Aber nein, der Zug ging nach La-Chaux-de-Fonds. Leise Hoffnungen wurden in einigen wach, gehen wir gar in den Jura? Tatsächlich, den wir mussten nochmals umsteigen ins Jura-Bähnli. Nach all der Sitzerei war es sehr angenehm, in La Ferrière auszusteigen. Unsere zwei Reiseleiter kündigten einen zwanzigminütigen Fussmarsch ins Hotel an – das wurde freudig begrüsst, den Rucksack und gute Schuhe waren schon lange bereit!
Mit Gesang ging es vorbei an weidenden Kühen mit ihren Kälbern, kleinen Pferdeherden, riesigen Tannen und Weiden. Die Heuernte war in vollem Gang und mancher Traktor war im Einsatz. Die Freiberge nehmen einen jedesmal in ihren Bann, und als dann das Hotel Les Chaux-d’Abel auf einer Kuppe in Sicht kam, herrschte Freude: das denkmalgeschützte Haus versprach schon von weitem einen speziellen Genuss! Mit Pétanque-Bahn (oder Boccia?), einladenden Liegestühlen mitten in der blühenden Wiese, einem Kräuter- und Gemüsegarten und gemütlicher Terasse konnte man sich gut verweilen bis zum Abendessen. Das Essen war hervorragend und die Nacht wurde spät. Aber das ist Tradition bei den Spatzen – obwohl gemunkelt wurde, man seie noch nie so früh schlafen gegangen!
Am Sonntagvormittag, als alle gefrühstückt und gepackt hatten, wurden die ersten Rufe nach Baden wieder laut. Vertröstet auf später (wo, in Frankreich?) packten alle ihr Lunchpaket ein und schon hörte man Hufe heranklappern. Ein Planwagen mit zwei Freiberger Pferden im Geschirr und ein zweiter mit drei Maultieren zockelten heran. Aufsteigen! Es wurde immer spannender. Wo geht es jetzt hin? Auf dem Kutschbock sitzend, nutzte ich die Gelegenheit, mit dem jungen Kutscher über seine Pferde zu reden. Es war mir nämlich aufgefallen, dass er sowohl Französisch als auch Deutsch mit ihnen sprach. Seine Freiberger seien „bilingue“, meinte er zufrieden. Das eine sei aus dem Emmenthal (ein etwas faules Tier das oft schlargge) und das andere (sehr tüchtig) aus Avenches. Aber beide verstünden sie ihn sowohl auf Französisch als auch auf Deutsch!
Es wurde eine wunderschöne Fahrt. In einem Reisetempo, das der Seele erlaubt mitzubaumeln, fuhren wir gemächlich nach Les Breuleux, um dann über Weiden mit den typischen Freiberger Steinmauern und Tannen Richtung La Theurre zu zuckeln. Spätestens dann war einigen „Spatzen“ klar, dass es nur eine mögliche Destination gab: den Etang de la Gruère, einen Moorsee! In Gedanken schon im kühlen Nass wanderten wir zum Seeufer, wo die Lunchpakete ausgepackt und vertilgt wurden. Schon waren die ersten in den doch ziemlich moorigen See gesprungen. Wie Dreckspatzen kamen sie verschmiert mit dunkelbraunen Moorpartikeln wieder hinausgestiegen, keinesfalls sauberer als vor dem Bad. Dann gings auf den rund vierzigminütigen Rundgang um den See, ein einmaliges und immer wieder faszinierendes Naturschauspiel. Der federnde Waldboden und die vielen Heidelbeersträucher gehören für einige zu Kindheitserinnerungen an Schulreisen und Biologie-Arbeitslager.
Ziemlich ausgelaugt erreichten wir die Auberge de la Couronne und nach Auftanken mit dem feinen Eidechsen-Bier gings um drei Uhr weiter mit dem Postauto nach Saignelégier. Auf der rund dreistündigen Rückreise über Biel sah man müde „Spatzen“ in den Zugabteilen sitzen – und doch wurde schon von der nächsten Spatzenreise geredet. Wer wird sie wohl organisieren, und wohin könnte man wohl 2014 fahren?